Mache Kritiker haben die Befragung als populistisch gebrandmarkt und andere haben versucht, sie als die ungarische Version des Brexit darzustellen. Beide Meinungen sind vollkommen falsch. Was hier auf dem Spiel steht, ist eine enorm wichtige Frage von nationalem Interesse.
Das Referendum handelt schlicht und einfach nicht über die EU-Mitgliedschaft Ungarns. Diese Frage wurde 2003 in einer landesweiten Volksabstimmung mit einer klaren Mehrheit und einer eindeutigen Unterstützung durch die derzeit regierende Fidesz-Partei beschlossen. Premierminister Orbán stellte jedes Mal klar, dass der richtige Platz Ungarns in Europa liegt.
Es geht bei der Volksabstimmung viel eher darum, was für ein Europa wir uns wünschen. Möchten wir den EU-Institutionen erlauben, Kompetenzen an sich zu reißen, die ihnen nicht zustehen?
Im Laufe des letzten Jahres hat Brüssel unterschiedliche Pläne zur Umsiedlung von Migranten vorgeschlagen, die den Mitgliedsstaaten fast 1,5 Millionen Illegale aufzwingen würden – oft gegen den Willen der Staaten und auch der Migranten selbst. Damals haben europäische Entscheidungsträger gesagt, es handle sich um eine einmalige Maßnahme, wodurch man verhinderte, dass alle Mitgliedsstaaten zustimmen hätten müssen. Aber durch ihre darauf folgenden Vorschläge wurde klar, dass es sich um keine einmalige Angelegenheit handeln wird.
Wir sagen, dass es nicht die Sache von Brüssel ist, wer in unserem Land oder irgendeinem anderen Mitgliedsstaat leben darf. Das ist unsere Entscheidung.
Jahrhundertelang hatte die europäische Zivilisation, insbesondere die Demokratie, weltweit eine Vorbildwirkung. Wir waren uns sicher, dass uns das gute Beispiel Europas von den anderen unterscheidet.
Doch heutzutage ist die Demokratie in der Europäischen Union in Gefahr. Die einfache Regel, dass dem Volk nichts ohne seine Zustimmung aufgedrängt werden dürfte, wurde untergraben. Das stimmt in diesem Fall besonders, wir können von einer aggressiven Umsiedlungspolitik reden, die das gesellschaftliche Gefüge und die Kultur eines Landes verändern kann.
Die ungarische Regierung verschließt sich nicht gegen humanitäre Hilfe und eine effizientere Vorgehensweise mit Flüchtlingslagern außerhalb der EU, wo Migranten aufgenommen und Asylanträge bearbeitet werden könnten. Ungarn hat als erstes Land einen gerechten Beitrag geleistet, als es Ärzte und Medizin an griechische Flüchtlingslager entsandte. Ungarische Bemühungen, die Migrationskrise zu kontrollieren und zu bewältigen, auch mit der Verstärkung der Grenzsicherheit, haben Europa signifikant dabei geholfen, eine Vertiefung der Krise vorzubeugen.
Wir bemühen uns trotzdem, unsere nationale Souveränität zu verteidigen. Wir möchten das Recht behalten, selbst zu entscheiden, wer hier lebt und unter welchen Kriterien. Wir haben gute Gründe dafür. Einmal abgesehen vom klaren Zusammenhang zwischen Terrorismus und illegaler Migration können wir hervorheben, dass wir – und nicht die EU – die Hauptlast der sozioökonomischen Konsequenzen von Massen an Wirtschaftsmigranten zu tragen hätten, die nicht in Ungarn bleiben wollen. Doch das ist nicht der wichtigste Grund.
Viel fundamentaler ist, dass wir uns wünschen, dass das Volk eine klare Nachricht an Brüssel sendet: Die Demokratie muss respektiert werden und der Wille des Volkes darf nicht von einer Handvoll Bürokraten mit ihren Wahnvorstellungen von einer besseren Welt übertönt werden. Der Preis dafür, den Willen des Volkes zu überhören, könnte sehr schmerzhaft sein.
Am 2. Oktober werden die ungarischen Wähler die ersten sein, die ihre Stimme zur Frage abgeben dürfen, ob die Europäische Union die neuen Kompetenzen übernehmen soll, über die Einwanderung zu entscheiden. Dies ist ihre Gelegenheit, ihre Stimmen für die Demokratie, für die europäischen Werte und die Europäische Union zu erheben.
Wenn Brüssel weiterhin die Stimme der Europäer ignoriert, ist die wahre Sorge nicht der EU-Austritt Ungarns, sondern das Überleben der EU. Nicht nur für uns Ungarn, sondern für die gesamte europäische Idee könnte alles auf dem Spiel stehen.